Sonntag, 17. April 2016

Flüchtlingsproblem in Bayern vor 70 Jahren




Der Zustrom von 1,66 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen nach Bayern hatte zwischen 1939 und 1945 ein Bevölkerungswachstum von 7 Millionen auf rund 9 Millionen zur Folge. Allein in Schwaben stieg die Bevölkerung im Jahre 1950 von 900.565 auf 1.253.671, unter denen sich 25,5% Vertriebene befanden.


Anfang 1945 strömten jenseits von Oder und Neiße Deutsche, die vor den heranrückenden sowjetischen Truppen flohen, in die nördlichen und östlichen Grenzbezirke Bayerns.

Sie suchten sich weitgehend selbständig Unterkünfte. Ende 1945 befanden sich in Bayern 514.000 "reichsdeutsche" Flüchtlinge, 220.000 "Volksdeutsche" aus dem Ausland, 99.621 Sudetendeutsche (Opfer der ersten Vertreibungswelle), viele Evakuierte, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Damit standen 6,51 Millionen Einheimischen 1,56 Millionen Ortsfremder gegenüber. Da in Bayern 14,8% (in Schwaben 9,3%) des Wohnungsbestandes total zerstört oder unbewohnbar waren, in Augsburg sogar 24,3%, war die Wohnungslage katastrophal. Nach der Konferenz in Potsdam und dem Verteilungsplan des Alliierten Kontrollrats, sollte Bayern jeweils 50% der monatlichen Flüchtlingszuweisung an die amerikanische Zone übernehmen. Somit kamen weitere 786.000 Vertriebene und 176.000 Einzelpersonen im Rahmen der Familienzusammenführung in Eisenbahntransporten nach Bayern. Nach Augsburg wurden an manchen Tagen zwei Transporte zu je 1200 Menschen und im Juni 46 sogar 42.000 Vertriebene gebracht. Diese Menschen unterzubringen, von denen ein geringer Prozentsatz arbeitsfähig war, da vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen kamen, übernahm jetzt die staatliche Zentralbehörde. Unter Berücksichtigung arbeitseinsatzmäßiger Gesichtspunkte, wurden die Flüchtlinge und Vertriebenen in erster Linie Kleinstädten und Landgemeinden zugewiesen, da diese im Krieg nicht zu stark beschädigt wurden. Als die organisierte Ausweisung im Dezember 1946 gestoppt wurde, befanden sich 1.696.000 Vertriebene und Flüchtlinge in Bayern. Nicht zuletzt durch unmittelbare Grenznähe und geringere Zerstörung im Gegensatz zu anderen Ländern, ist die Überbelagerung zu erklären, wobei durch die überwiegend landwirtschaftliche Struktur nur geringe Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung standen.

Zusammenfassung:

Durch unmittelbare Grenznähe und geringere Zerstörung als in anderen Bundesländern und durch die überwiegend ländliche Struktur war Bayern mit einem Zustrom von 1,66 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen eines der größten Aufnahmeländer.

Quelle:

Doris Pfister, Entstehung des Flüchtlingsproblems in Bayern, In: Doris Pfister, Bernd Hagel (Hrsg.): Vertreibung und neue Heimat, Augsburg, S. 25-30

Juliane Keil, 11b


Für's Internet aufbereitet von Philipp v. Rußdorf 8a



Geflüchtet oder vertrieben?

Flüchtling oder Vertriebener? Die Betroffenen gaben ihrem Schicksal nicht einmal einen Namen, allerdings auf der privaten Ebene und behördlich wurden sie Flüchtlinge genannt. Später kamen noch die Namen Ostflüchtlinge, Ausgewiesene Heimatvertriebene und Spätaussiedler hinzu. Dies waren sowohl Flüchtlinge, als auch Vertriebene. Die Behörden ordneten schließlich die Begriffe, die Bevölkerung allerdings bezeichnet alle "Neubürger" noch als Flüchtlinge. Bei Volkszählungen wurde zuerst der Wohnsitz vom 1 September 1939 in den deutschen Ostgebieten/Ausland, später die Flüchtlingsausweise als Mittel zur Unterscheidung benützt, um Vertriebene und Bevölkerung zu unterscheiden.

Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde schließlich im Artikel 116 des Grundgesetzes vom 23.Mai 1949 festgelegt: Deutscher ist, wer "in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.Dezember 1937" gelebt hat.

Der Begriff Flüchtling wurde im Flüchtlingsgesetz vom Februar 1947 festgelegt:

  1. Alle Personen deutscher Staatszugehörigkeit, die am 1.Januar 1945 nach dem Stand vom 1.Mai 1938 einen dauerhaften Wohnsitz außerhalb des Deutschen Reiches hatten und von dort geflüchtet sind.
  2. Alle Personen deutscher Staatszugehörigkeit, die am 1.Januar 1945 nach dem Stand vom 1.September 1939 östlich der Oder und Görlitzer Neiße beheimatet waren und von dort geflohen sind.
    Der Begriff Vertriebener wurde im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) festgelegt:

  1. Vertriebener: Alle Personen deutscher Staatszugehörigkeit, die ihren Wohnsitz außerhalb des Deutschen Reiches oder den Deutschen Ostgebieten nach dem Gebietsstand vom 31.Dezember verloren haben.
  2. Heimatvertriebener: Alle Vertriebene, die am 31.Dezember oder einmal davor seinen Wohnsitz in dem Staat hatte, aus dem er vertrieben wurde.
  3. Sowjetzonenflüchtling: Flüchtling aus der sowjetischen Zone oder dem sowjetisch besetzten Zone Berlins aufgrund einer Zwangslage.
  4. Aussiedler: Deutsche, die seit 1950 in die Bundesrepublik kommen.
  5. Übersiedler: Deutsche, die mit Genehmigung der Behörden von der DDR nach Deutschland gezogen sind.
    Aufgrund der hohen Flüchtlingsströme wurde vom "Jahrhundert der Flüchtlinge" gesprochen. Folgende Ereignisse haben zu enormen Flüchtlingsströmen geführt:

  1. Der Zerfall des Osmanischen Reiches
  2. Der 1.Weltkrieg
  3. Die Oktoberrevolution in der Sowjetunion
  4. Der Aufstieg der totalitären Diktaturen
  5. Der 2.Weltkrieg und seine unmittelbare Folgezeit
  6. Die Ausdehnung des kommunistischen Herschaftsbereichs
    Hauptsächlich in Südosteuropa, dem östlichen Mitteleuropa, den sowjetischen oder polnischen Ostgebieten und in der Tschechoslowakei wurden 1945 Deutsche vertrieben oder flohen. Nicht unwesentlich zu den Spannungen zwischen den Völkergruppen hat die Entstehung nationaler und nationalistischer Bewegungen zusammen mit einem übersteigerten Kultur- und Sprachnationalismus beigetragen.
    Zusammenfassung:
    Die Bezeichnung "Flüchtling" und "Vertriebener" waren nicht eindeutig geklärt, bis das "Flüchtlingsgesetz" und das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) verabschiedet wurde. Das 20. Jahrhundert wird als "Jahrhundert der Flüchtlinge" bezeichnet. Ein nicht unbedeutender Grund für die Spannungen zwischen den Völkergruppen ist ein übersteigerter Nationalismus.
    Quelle:
    Pfister, D/ Hagel, B: Vertreibung und neue Heimat, Beiträge zur Heimatkunde des Landkreises Augsburg; Augsburg 1995, S. 150-161
    Rolf Kiefhaber, 11b

    Das Flüchtlingssiedelungsgesetz
    Der Wirtschaftsrat hatte seit Sommer 1947 mehrere Versuche unternommen, eine einheitliche Gesetzgebung auf dem Gebiet der Bodenreform zu erreichen. So entstanden zwei wichtige Gesetze zur Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge: das Soforthilfegesetz und das Flüchtlingssiedelungsgesetz. Diese Gesetze sollten die Eingliederung der Heimatvertriebenen in die Landwirtschaft fördern. Dabei wurde es den Flüchtlingen gestattet zinslose Darlehen aufzunehmen und zusätzliche Zuschüsse zu erhalten. Durch dieses Gesetz konnte vielen Flüchtlingen ein neuer selbständiger Anfang ermöglicht werden.
    Dennoch konnten es sich nicht alle Heimatvertriebenen leisten sich selbständig zu machen und mussten daher als Arbeiter oder Angestellte ihren Unterhalt verdienen, was für einige sehr empfindlichen sozialen Abstieg bedeutete.
    Ein Beispiel einer solchen Fabrik, die nahezu 250 Flüchtlingen und Vertriebenen einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, war die in Gersthofen ansässige Hoechst AG.
    Doch trotz zahlreicher weiterer Fabriken die Flüchtlinge aufnahmen reichten die Beschäftigungsmöglichkeiten noch nicht aus. Aus diesem Grund wurde die Heimarbeit, wie die Weben, Stricken oder die Spielzeugherstellung auf das ganze Land ausgedehnt um auch Flüchtlinge die ohne alle Mittel in Gegenden oder unter Verhältnissen leben mussten, in denen eine Arbeit in Betrieben nicht aufgenommen werden konnte, ein bescheidenes Leben zu ermöglichen.
    Quelle:
    Vertreibung und neue Heimat: Das Flüchtlingssiedelungsgesetz
    Doris Pfister und Berhard Hagel, Augsburg, 1995, S. 64-72

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