Mittwoch, 30. März 2016

Ukraine braucht die Hilfe des Westens


Nachdenklicher Vortrag schafft Verständnis 

Sehr nachdenkliche Worte kennzeichneten die Analyse des Ordinarius für Politologie der Ukrainischen Freien Universität München, Prof. Dr. Volodymyr Kulyk, zur aktuellen Lage in seinem Heimatland. Der Krieg im Donbas und die nach wie vor nicht ausgerottete Korruption in der Regierung seien „die wichtigsten Hindernisse für eine radikale Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Ukraine".
Beide binden enorme materielle und menschliche Ressourcen, entziehen der Regierung viele Möglichkeiten, sich in vollem Maße mit den Reformen und dem Wohlstand der Bevölkerung zu beschäftigen. Nach der Flucht von Ex-Präsident Janukowytsch war sein Land bereit, mit einer radikalen Demokratisierung zu beginnen. Die Invasion Russlands, zuerst auf der Krim und dann im Donbas, habe nicht nur tausende Tote, hunderttausende Flüchtlinge und kolossale Zeistörungen gebracht, sondern der militärächen Mobilisierung Vorrang vor der politischen und ökonomischen Demokratisierung gegeben.

Die Situation in der ukrainischen Armee habe sich dagegen in den letzten beiden Jahren extrem verbessert. Als Russland die Krim besetzte, waren dort nur sehr wenige ukrainische Soldaten. Man hatte bislang Russland als Partner betrachtet und einen Krieg für unmöglich gehalten. Selbst nach der Annexion der Krim war die ukrainische Armee kaum fähig, die von Russland bewaffneten Separatisten im Donbas niederzuhalten. Die Armee hatte wenige Waffen, fast keine Kampferfahrung und vielfach eine fragwürdige Loyalität. Viele Generäle, Offiziere und Soldaten unterstützten die Aufständischen mehr als die eigene Regierung. Heute sei die Armee besser bewaffnet und ausgebildet. Schon im Sommer 2014 konnten sie die Separatisten allmählich verdrängen. Nur durch die offene Invasion russischer Abteilungen konnte der Erfolg der ukrainischen Armee vereitelt 
werden. Trotz Überlegenheit der russischen Streitkräfte könnten diese weitere Territorien im Osten oder Süden des Landes nur noch mit großen Verlusten erobern. 

Daher habe Präsident Putin auf seine ursprüngliche Absicht verzichtet, alle überwiegend russisch sprechenden Landesteile von der Ukraine abzutrennen und das sogenannte „Neurussland" aus-zurufen. Stattdessen will er nun den ukrainischen Staat von innen heraus destabilisieren und eine neue Führung an die Macht bringen, die dem Kreml ergeben ist. Diese Destabilisierungsabsichten würden dadurch erleichtert, weil viele seiner Landsleute die Politik der heutigen Regierung, des Präsidenten und des Parlaments als höchst unbefriedigend be-trachten. Viele sehen im derzeitigen Handeln einen Verrat an den Idealen des Majdan . Der Kreml fördert auf jede Weise dieses Misstrauen, insbesondere durch falsche Mitteilungen und radikale Auf-rufe in den sozialen Netzwerken. Unter den gegebenen Umständen dürfe man aber die Fortschritte im politischen Bereich nicht übersehen. Das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union, die Bemühungen um Visafreiheit für die Schengen-Staaten, die drastische Reduzierung des Imports von russischem Erdgas und die Einführung der transparenten elektronischen Versteigerungen für alle beträchtlichen Aufkäufe in den staatlichen Institutionen und Unternehmen, seien beredte Belege für eine 
Neuausrichtung.

Andererseits habe sich die Lage in manchen Bereichen nicht verbessert. Obwohl die Oligarchen weniger Einfluss auf die politischen Entscheidungen haben als unter Janukowytsch, kontrollieren sie im-mer noch dutzende Abgeordnete und profitieren von der Vorzugsbehandlung durch die Regierung. Außerdem dient die Politik von Präsident Poroschenko nicht nur seiner Machtkonzentration, sondern auch seinen finanziellen Interessen als einem der reichsten Männer des Landes. Der Rücktritt des reformorientierten Wirtschaftsministers Ajvaras Abromavicius habe die Ukraine in eine tiefe Krise gestürzt. Neuwahlen seien daher nicht mehr ausgeschlossen. Die ukrainische Demokratisierung hänge wesentlich davon ab, wie stark die bürgerliche Gesellschaft und die westlichen Partner diese unterstützten. „Wir brauchen immer noch die Hilfe des Westens, insbesondere Deutschlands, einerseits um unsere Unabhängigkeit vor der russischen Aggression zu verteidigen, andererseits um die unabhängige Ukraine mehr demokratisch, erfolgreich und europäisch zu machen. Bitte benutzen Sie den Mangel an Reformen in der Ukraine nicht als einen Vorwand für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, sondern helfen Sie uns, diese Reformen zu verwirklichen und so den russischen Angriff gegen die freie Welt abzuwehren", so Prof. Kulyk abschließend.

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