Samstag, 18. Februar 2017

Das Europäische Parlament und die Verfassung


Das Europäische Parlament war eine von denjenigen Institutionen, deren Kompetenzen durch den Verfassungsvertrag am meisten ausgebaut werden sollten. Gemäß Art. I-20 Abs. 1 VVE sollte es gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union als Gesetzgeber tätig werden und gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse ausüben. Das Mitentscheidungsverfahren, das Parlament und Rat gleiche Rechte im Gesetzgebungsprozess zubilligt, sollte zum neuen „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ werden und nun in 92 statt bisher 35 Politikfeldern gültig sein. Insbesondere die Gemeinsame Agrarpolitik und die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen wurden in den Zuständigkeitsbereich des Parlaments mit aufgenommen; die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik verblieb allerdings als alleinige Kompetenz des Rates.


Auch bezüglich der Budgethoheit erhielt das EU-Parlament neue Kompetenzen: Nachdem es bisher für sämtliche Ausgaben außer denjenigen für die Gemeinsame Agrarpolitik das Budgetrecht besaß, sollte nun auch der Agrarsektor (ca. 46 % des Gesamtetats) darin einbezogen werden. Das EU-Parlament sollte damit das letzte Wort über alle Ausgaben der EU besitzen. Die letzte Entscheidung über die Einnahmen der EU sollte aber nach wie vor beim Rat liegen, sodass das Parlament weiterhin nicht selbstständig den Gesamtetat erhöhen oder EU-Steuern einführen könnte.

Die genauen Bestimmungen zur Zusammensetzung des EU-Parlaments nach nationaler Herkunft der Abgeordneten überließ die Verfassung einer späteren Entscheidung des Europäischen Rats. Sie bestimmte lediglich eine „degressiv proportionale“ Vertretung der Bürger, nach der einem großen Staat insgesamt mehr, pro Einwohner allerdings weniger Sitze zustehen als einem kleinen. Insgesamt sollte ab der Europawahl 2009 die Anzahl der Europaabgeordneten auf 750 gesenkt werden (statt zuvor 785 ab der Erweiterung 2007).

Die Abstimmungsmodi des Parlaments wurden in der Verfassung beibehalten: Es sollte regelmäßig (z. B. Gesetzgebung, Bestätigung des Kommissionspräsidenten) mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden, in der zweiten Lesung bei Gesetzgebungsprozessen mit absoluter Mehrheit der gewählten Mitglieder, bei einigen Ausnahmeentscheidungen (z. B. Misstrauensantrag gegen die Kommission) mit Zweidrittelmehrheit.

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