Der deutsche Sonderweg
Soll jetzt am grünen deutschen
Wesen die ganze Welt genesen?
Wenn sich alle einig sind, ist es
Zeit, misstrauisch zu werden. Wenn Widerspruch verboten scheint, ist er umso wichtiger. In der Diskussion um den
Atomausstieg ist ein Meinungsklima entstanden, das alles, was nicht reine
Zustimmung ist, unter Verdacht stellt. Wer
jetzt noch sagt, er halte die Atomenergie für eine ganz vernünftige
Technologie, der wird angeschaut, als habe er
gerade gesagt: „Schlesien bleibt unser!“ Wer auch nur skeptische Fragen stellt,
wie die bejubelte „Energiewende“
denn bezahlt werden soll, ob das alles gut durchdacht und solide geplant ist, steht als Ewiggestriger da, dem
man nicht ganz über den Weg trauen kann. Wer sich mehr Zeit für den
Atomausstieg oder auch nur mehr Zeit für die
eigene Meinungsbildung gewünscht hätte, hat den über Nacht
zusammengeschusterten nationalen Konsens schon
verlassen. Wer gerade noch in der politischen Mitte stand, steht plötzlich am
Rand.
Natürlich war die Atomenergie
immer eine Technologie, die Unbehagen weckte, wenn man sich die Risiken eines zwar unwahrscheinlichen, aber
keinesfalls undenkbaren Reaktorunglücks vor Augen hielt. Und vielleicht stimmt
es auch, dass Fukushima so etwas war
wie eine historische Schrecksekunde, die die verdrängten Risiken ins
Bewusstsein zurückgeholt und die politische
Kraft für den Ausstieg freigesetzt hat. Aber gerade wenn der Schrecken am
größten ist, kommt es darauf an, nicht die
Nerven zu verlieren, sondern mit kühlem Kopf Chancen und Risiken zu wägen,
guten Rat einzuholen und dann eine
besonnene Entscheidung zu treffen. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass das
geschehen ist. Panik war der einzige
Ratgeber; die Angst vor dem Atomtod verband sich mit der Angst vor einer
Wahlniederlage.
Durch Deutschland rollt eine
Anti-Atomkraft-Dampfwalze, die alles plattmacht. Ihr Treibstoff ist eine
Mischung aus Emotion und Kalkül.
Politik im Affekt verdient immer
skeptische Beobachtung. Und was war es anderes als eine Affekthandlung, als die
Kanzlerin praktisch binnen
Stunden nach dem Atomunglück in Japan Atomkraftwerke abschalten ließ? Eine
Entscheidung übrigens, die der frühere
Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, schlichtweg
„illegal“ genannt hat.
Und wie glaubwürdig sind
Politiker, die erst Monaten davor die Laufzeitverlängerung für deutsche
Atomkraftwerke als wichtige Weichenstellung
verkündet haben und sich jetzt mit dem schnellen Ausstieg brüsten? Der Versuch,
sich die Stimmung im Lande zunutze zu
machen, ist viel zu durchsichtig, als dass er sich für Merkel und Seehofer
politisch auszahlen könnte.
Doch viel wichtiger als die
politischen Konsequenzen für einzelne Parteien sind die Fragen nach den Folgen
für dieses Land. Nur andeutungsweise ist bis
jetzt zu erkennen, dass der ohnehin überschuldete Staat gigantische
Subventionen aufbringen muss, um neue
Energien, mehr Energieeffizienz und neue Stromnetze zu finanzieren. Indirekt
werden alle an diesen Kosten beteiligt,
Autofahrer, Mieter, Unternehmer, Stromkunden, Steuerzahler. Und alle werden mit
den Kollateralschäden leben müssen:
hässliche neue Strommasten, Windräder, Solaranlagen. Ein ganzes Land ordnet
sich der Sehnsucht nach dem Ausstieg
unter.
Dabei ist die Entscheidung für
den Atomausstieg nicht grundfalsch, aber sie kommt überhastet, sie ist
unredlich, weil sie die Kosten des Ausstiegs
verschweigt, und sie ist ein nationaler Alleingang. Kein anderes Land auf der
Welt hat so auf die Katastrophe von Fukushima
reagiert, im Gegenteil, in anderen Ländern werden neue Atomkraftwerke gebaut.
Barack Obama, den die Deutschen
doch einmal so euphorisch bejubelt haben, ist für Atomkraft; in Schweden ist
der Ausstieg rückgängig gemacht
worden; in der Schweiz will man aussteigen, sich aber 25 Jahre Zeit lassen.
Soll jetzt am grünen deutschen
Wesen die ganze Welt genesen? Wissen wir’s besser als alle anderen? Die Risiken
der Atomkraft machen Angst, das ist
wahr; deutsche Sonderwege tun es auch.
Jose Zampe
( Auszug Augsburger Allgemeine)
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