Dienstag, 31. März 2015

Ausstieg aus der Kernenergie


Zum Ausstieg aus der Kernenergie

Der deutsche Sonderweg
Soll jetzt am grünen deutschen Wesen die ganze Welt genesen?


Wenn sich alle einig sind, ist es Zeit, misstrauisch zu werden. Wenn Widerspruch verboten scheint, ist er umso wichtiger. In der Diskussion um den Atomausstieg ist ein Meinungsklima entstanden, das alles, was nicht reine Zustimmung ist, unter Verdacht stellt. Wer jetzt noch sagt, er halte die Atomenergie für eine ganz vernünftige Technologie, der wird angeschaut, als habe er gerade gesagt: „Schlesien bleibt unser!“ Wer auch nur skeptische Fragen stellt, wie die bejubelte „Energiewende“ denn bezahlt werden soll, ob das alles gut durchdacht und solide geplant ist, steht als Ewiggestriger da, dem man nicht ganz über den Weg trauen kann. Wer sich mehr Zeit für den Atomausstieg oder auch nur mehr Zeit für die eigene Meinungsbildung gewünscht hätte, hat den über Nacht zusammengeschusterten nationalen Konsens schon verlassen. Wer gerade noch in der politischen Mitte stand, steht plötzlich am Rand.

Natürlich war die Atomenergie immer eine Technologie, die Unbehagen weckte, wenn man sich die Risiken eines zwar unwahrscheinlichen, aber keinesfalls undenkbaren Reaktorunglücks vor Augen hielt. Und vielleicht stimmt es auch, dass Fukushima so etwas war wie eine historische Schrecksekunde, die die verdrängten Risiken ins Bewusstsein zurückgeholt und die politische Kraft für den Ausstieg freigesetzt hat. Aber gerade wenn der Schrecken am größten ist, kommt es darauf an, nicht die Nerven zu verlieren, sondern mit kühlem Kopf Chancen und Risiken zu wägen, guten Rat einzuholen und dann eine besonnene Entscheidung zu treffen. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass das geschehen ist. Panik war der einzige Ratgeber; die Angst vor dem Atomtod verband sich mit der Angst vor einer Wahlniederlage.

Durch Deutschland rollt eine Anti-Atomkraft-Dampfwalze, die alles plattmacht. Ihr Treibstoff ist eine Mischung aus Emotion und Kalkül.

Politik im Affekt verdient immer skeptische Beobachtung. Und was war es anderes als eine Affekthandlung, als die Kanzlerin praktisch binnen Stunden nach dem Atomunglück in Japan Atomkraftwerke abschalten ließ? Eine Entscheidung übrigens, die der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, schlichtweg „illegal“ genannt hat.

Und wie glaubwürdig sind Politiker, die erst Monaten davor die Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke als wichtige Weichenstellung verkündet haben und sich jetzt mit dem schnellen Ausstieg brüsten? Der Versuch, sich die Stimmung im Lande zunutze zu machen, ist viel zu durchsichtig, als dass er sich für Merkel und Seehofer politisch auszahlen könnte.
Doch viel wichtiger als die politischen Konsequenzen für einzelne Parteien sind die Fragen nach den Folgen für dieses Land. Nur andeutungsweise ist bis jetzt zu erkennen, dass der ohnehin überschuldete Staat gigantische Subventionen aufbringen muss, um neue Energien, mehr Energieeffizienz und neue Stromnetze zu finanzieren. Indirekt werden alle an diesen Kosten beteiligt, Autofahrer, Mieter, Unternehmer, Stromkunden, Steuerzahler. Und alle werden mit den Kollateralschäden leben müssen: hässliche neue Strommasten, Windräder, Solaranlagen. Ein ganzes Land ordnet sich der Sehnsucht nach dem Ausstieg unter.

Dabei ist die Entscheidung für den Atomausstieg nicht grundfalsch, aber sie kommt überhastet, sie ist unredlich, weil sie die Kosten des Ausstiegs verschweigt, und sie ist ein nationaler Alleingang. Kein anderes Land auf der Welt hat so auf die Katastrophe von Fukushima reagiert, im Gegenteil, in anderen Ländern werden neue Atomkraftwerke gebaut.

Barack Obama, den die Deutschen doch einmal so euphorisch bejubelt haben, ist für Atomkraft; in Schweden ist der Ausstieg rückgängig gemacht worden; in der Schweiz will man aussteigen, sich aber 25 Jahre Zeit lassen.

 Es liegt auf der Hand, dass ein Ausstieg eigentlich nur im europäischen Kontext Sinn ergibt. Oder soll der Rest der Welt jetzt durch das deutsche Beispiel zur Vernunft gebracht werden? Das ist vielleicht das Beunruhigendste an der brachial durchgesetzten deutschen Energiewende: der totale Anspruch moralischer Überlegenheit, mit der sie propagiert wird.

Soll jetzt am grünen deutschen Wesen die ganze Welt genesen? Wissen wir’s besser als alle anderen? Die Risiken der Atomkraft machen Angst, das ist wahr; deutsche Sonderwege tun es auch.
Jose Zampe
( Auszug Augsburger Allgemeine)

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