Wenn es um Bürgerrechte geht, um sexuelle Selbstbestimmung oder um „Freiheit statt Überwachung“ im Internet, sind die Grünen ganz mit sich im reinen. Die Herausforderung für eine freiheitliche grüne Politik liegt auf anderen Feldern, bei denen es einen starken Sog zum Etatismus und Dirigismus gibt: Ökologie und Wirtschaftspolitik. Hier kollidiert die antiautoritäre Tradition der Grünen mit der ebenso tief sitzenden Versuchung, die Menschheit zu ihrem Glück zu nötigen. Wie das Echo auf den verunglückten Vorstoß für einen obligatorischen „Veggie Day“ gezeigt hat, reagiert auch das ökologisch aufgeklärte Publikum ausgesprochen empfindlich auf staatliche Eingriffe in die persönliche Lebensführung.
Der groß aufgezogene grüne Freiheitskongress war nicht zuletzt ein Versuch, dem Image einer Gouvernanten- Partei zu entkommen, die ihre Schutzbefohlenen mit sanfter oder harter Hand auf den Pfad der Tugend führt.Nun ist der Konflikt zwischen individueller Freiheit und ökologischem
Imperativ beileibe keine grüne Marotte. Schon die Urschrift der
Ökologiebewegung, der 1972 unter dem Titel „Grenzen des Wachstums“ publizierte
Report an den Club of Rome, ist von einem autoritären Grundton durchzogen. Die
Antwort auf die drohende Selbstzerstörung der industriellen Moderne sieht er in
einer umfassenden Reglementierung von Produktion, Konsum und Fortpflanzung. An
die Stelle von Markt und Wettbewerb tritt eine zentrale Verwaltungswirtschaft.
Freiheit schnurrt zusammen auf die bloße Einsicht in die Notwendigkeit. Mehr
noch: Wer die natürlichen Lebensgrundlagen verteidigt, verteidigt zugleich die
Freiheit kommender Generationen, ihr Leben nicht unter dem Diktat steigender
Temperaturen und schrumpfender Ressourcen fristen zu müssen. Was liegt da
näher, als unter Berufung auf eine humane Zukunft die Freiheit der heutigen
Generation einzuschränken?
In der Denkwelt der Ökobewegung ist der Klimawandel die moderne Apokalypse:
Hitzewellen, verheerende Sturmfluten, Kollaps ganzer Ökosysteme, Milliarden
Umweltflüchtlinge. Wenn es darauf ankommt, die Menschheit vor der drohenden
Katastrophe zu retten, wird daraus leicht ein Freibrief für Bevormundung und
allumfassende Reglementierung. Pluralismus von Lebensstilen, Konsumfreiheit,
Reisefreiheit, Gewerbefreiheit etc. erscheinen dann als frivoler Luxus. Weshalb
noch über SUV’s diskutieren, statt sie zu verbieten? Was soll daran verkehrt
sein, die Zahl der Flüge pro Kopf strikt zu kontingentieren? Wenn uns die
Klimawissenschaft vorrechnet, dass wir nicht mehr als zwei Tonnen CO2 pro Kopf
und Jahr in die Atmosphäre entlassen dürfen, um die Erderwärmung bei etwa zwei
Grad zu halten – weshalb teilen wir dann nicht jedem Individuum ein
Emissions-Kontingent zu, nach dem es sein Leben einrichten muss?
Wer die ökologische Krise als Resultat knapper natürlicher Ressourcen und
überschießender menschlicher Ansprüche begreift, landet nicht von ungefähr bei
autoritären Konsequenzen. Dann geht es in erster Linie um die Einschränkung des
Konsums und die Reglementierung der Bedürfnisse.
Auch für ökologische Politik gilt, dass der hehre Zweck nicht jedes Mittel
heiligt. Freiheit ist mehr als die bloße Einsicht in die Notwendigkeit,
Selbstbestimmung ist unteilbar und Demokratie ist ein Wert an sich, der nicht
zugunsten eines grünen TINA-Prinzips („There is no alternative“) außer Kraft
gesetzt werden darf.
Wie eine freiheitliche Ökologiepolitik aussieht, die der Versuchung zu
Bevormundung und allumfassender Reglementierung entkommt, ist noch nicht
ausbuchstabiert. Dazu gehört, dass es uns nicht um den „neuen Menschen“ geht,
sondern um die Transformation der Industriegesellschaft. Verbote und Verzicht
sind nicht tabu. Aber sie sind nicht der Schlüssel für die Lösung der
ökologischen Frage. Unsere wichtigste Ressource ist die Freisetzung von
Kreativität und Innovation – auch in dieser Hinsicht sind Demokratien die
bessere Alternative zu autoritären Regimes.
Der klassische Liberalismus postuliert den Zusammenhang zwischen politischer
Freiheit (Demokratie) und einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung. Für die
Grünen ist das eher ein fremder Gedanke. Wenn das Stichwort „Markt“ fällt,
antworten wir mit „Regulierung“, Unternehmertum verbinden wir gern mit Gier und
Wettbewerb mit Rücksichtslosigkeit. Dafür gibt es allzu viele Belege. Dennoch
verkennt diese Sicht die produktive Kraft, die in Marktwirtschaft und
Unternehmergeist liegt. „Grüner Ordoliberalismus“ könnte eine Antwort auf die
Frage sein, wie Regulierung und Selbstverantwortung, Staat und Markt
auszubalancieren sind.
Letzter Punkt: Taugt Freiheit auch als Richtschnur für grüne Außenpolitik? Der
Lackmustest dafür ist heute die Ukraine. Es irritiert, wie wenig Empathie es in
weiten Teilen der Republik für den freiheitlichen Aufbruch gibt, der sich in
der Maidan-Bewegung manifestierte – und wie viel Verständnis für die autoritäre,
illiberale und rundum zynische Politik der russischen Machtelite. Für eine
freiheitliche Außenpolitik dürfte die Unabhängigkeit der Ukraine und ihre
territoriale Integrität so wenig in Frage stehen wie ihr Recht, „ein
europäisches Land sein zu wollen“ (Poroshenko), also den Weg Richtung
Rechtsstaat, Demokratie und moderner Marktwirtschaft zu gehen. Ähnliches galt
und gilt übrigens auch für den Aufstand gegen Assad in Syrien, der als
Freiheitsbewegung begann, bevor er von radikalen Islamisten gekapert wurde
(weil der Westen die moderaten Kräfte im Regen stehen ließ). Idealismus allein
ist noch keine Außenpolitik, und das Pathos der Menschenrechte ersetzt keine
nüchterne Strategie. Aber man wünscht sich schon wieder etwas mehr von der
Solidarität mit freiheitlichen Bewegungen, die zum Kern eines grünen
Internationalismus gehört.
Dieser Artikel erschien am 25. September 2014 in Die
Zeit.
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