Dienstag, 19. September 2017

Der letzte Europäer?



Jean-Claude Juncker (* 9. Dezember 1954 in Redingen) ist ein luxemburgischer Politiker der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV/PCS) und seit dem 1. November 2014 Präsident der Europäischen Kommission. Von 1989 bis Juli 2009 war er Finanzminister und von 1995 bis Dezember 2013 Premierminister Luxemburgs sowie von 2005 bis 2013 Vorsitzender der Euro-Gruppe.


Familie und Ausbildung

Jean-Claude Juncker wuchs als Sohn eines Stahlarbeiters im Süden Luxemburgs auf. Er wurde sehr von diesem industrialisierten Landstrich geprägt, in dem viele Arbeiter und Immigranten (damals hauptsächlich Italiener) lebten. Seine Familie war zu jener Zeit bereits politisch in der Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV) beheimatet, sein Onkel Ed Juncker war Bürgermeister der Stadt Ettelbrück. Sein Vater war aktiv als Gewerkschafter im Luxemburger Christlichen Gewerkschaftsbund (LCGB). Sein Vater war während des Zweiten Weltkrieges zum Dienst in der deutschen Wehrmacht gezwungen worden, einige Familienmitglieder starben in deutschen Konzentrationslagern.

Die Mittelschule absolviert er im Internat des belgischen Klosters Clairefontaine, das von Luxemburger Herz-Jesu-Priestern geführt wurde. 1974 erwarb Jean-Claude Juncker das Diplôme de fin d’études secondaires (Abitur, Matura) am Lycée Michel-Rodange in Luxemburg. Im selben Jahr trat er der CSV bei. Er begann 1975 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Straßburg, das er 1979 abschloss. Im Februar 1980 wurde er von der Anwaltskammer vereidigt und als Rechtsanwalt zugelassen. Er übte diesen Beruf jedoch nie aus, sondern verstand sich von Anfang an als Berufspolitiker.
Juncker ist seit 1979 verheiratet.

Von Mai 2006 bis zur Einstellung des Blattes Ende 2010 war Juncker Mitherausgeber der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“.
Neben seiner Muttersprache Luxemburgisch spricht Juncker fließend Französisch, Deutsch und Englisch.

Politische Karriere

Im Jahre 1982 wurde Juncker zum Staatssekretär für Arbeit und soziale Sicherheit ernannt. 1984 errang Jean-Claude Juncker bei den Wahlen zur luxemburgischen Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) erstmals ein Mandat. Er trat weder dieses noch die bei den folgenden Wahlen errungenen jemals für längere Zeit an, da er auch in den weiteren Legislaturperioden der Regierung angehörte.

Mit der Regierungsbildung nach den Kammerwahlen von 1989 wurde er Minister für die Ressorts Arbeit und Finanzen sowie Gouverneur Luxemburgs bei der Weltbank. Das Amt bekleidete Juncker bis 1995 und gestaltete in dieser Zeit den Vertrag von Maastricht entscheidend mit.


Premierminister Luxemburgs

Am 20. Januar 1995 wurde er luxemburgischer Premierminister als Nachfolger von Jacques Santer, nachdem dieser das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission übernommen hatte und aus der Regierung ausschied. Zugleich übernahm Juncker auch das luxemburgische Finanzministerium sowie die Vertretung Luxemburgs als Gouverneur beim Internationalen Währungsfonds. Seine Tätigkeit hatte dabei von Anfang an einen starken Bezug zur internationalen Politik, wo er von seiner Mehrsprachigkeit profitiert. Unter anderem tat er sich mehrfach als Vermittler innerhalb der EU hervor. So hatte er 1996 starken Anteil am „Kompromiss von Dublin“, der eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt ermöglichte.In der zweiten Jahreshälfte 1997 sowie in der ersten Jahreshälfte 2005 hatte Luxemburg unter Juncker die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Juncker gilt als beliebt bei der Luxemburger Bevölkerung und setzt seine Popularität immer wieder auch politisch ein: So versprach er vor der Luxemburger Wahl 2004, bei einer Wiederwahl auf jeden Fall Premierminister Luxemburgs zu bleiben und kein europäisches Amt anzunehmen; seine Partei fuhr daraufhin einen deutlichen Sieg ein.

2005 drohte Juncker, im Falle eines negativen Ergebnisses beim Referendum in Luxemburg zur neuen EU-Verfassung sein Amt niederzulegen. Die Luxemburger nahmen in der folgenden Abstimmung die Verfassung mit 57 % der abgegebenen Stimmen an.

Am 16. November 2008 hielt Jean-Claude Juncker anlässlich des Volkstrauertages eine Rede vor dem Deutschen Bundestag.
Geheimdienstaffäre und Rücktritt als Premierminister
In der ersten Jahreshälfte 2013 beschäftigte sich ein Untersuchungsausschuss des luxemburgischen Parlaments mit über Jahre andauernden zweifelhaften Praktiken des luxemburgischen Geheimdienstes SREL. Auslöser waren Erkenntnisse im Rahmen der juristischen Aufarbeitung einer Reihe von unaufgeklärten Bombenanschlägen Mitte der 1980er Jahre, üblicherweise als Bombenlegeraffäre bezeichnet. In seinem Abschlussbericht stellte der Ausschuss Anfang Juli mehrheitlich fest, dass Juncker die politische Verantwortung für die unkontrollierten Aktivitäten des SREL trage. Juncker selbst war, wie sich herausgestellt hatte, 2007 Opfer dieser Praktiken gewesen, da der damalige Geheimdienstchef Marco Mille heimlich ein Gespräch zwischen ihm und Juncker aufzeichnete. Am 10. Juli 2013 kündigte Juncker im Zuge der Affäre Neuwahlen an (siehe Kammerwahl 2013. Bei dieser Wahl wurde Junckers CSV mit ihm als Spitzenkandidat zwar erneut stärkste Partei, sein bisheriger Koalitionspartner, die Sozialdemokraten, einigten sich jedoch mit den Liberalen und den Grünen auf eine neue Koalitionsregierung. Juncker, der zuletzt der dienstälteste Regierungschef in der Europäischen Union gewesen war, schied mit der Vereidigung von Xavier Bettel als Premierminister am 4. Dezember 2013 aus seinen Regierungsämtern aus. Er übernahm in der Folge den Fraktionsvorsitz der CSV in der Abgeordnetenkammer und wurde damit Oppositionsführer.


Vorsitz der Eurozone

Am 10. September 2004 wurde Juncker für die Dauer von zwei Jahren zum ersten ständigen Vorsitzenden der Euro-Gruppe ernannt, eines informellen Gremiums der Finanzminister der Eurozone. Sein Mandat begann am 1. Januar 2005, es wurde am 6. September 2006 bis zum 31. Dezember 2008 verlängert. Laut den damaligen Statuten der Euro-Gruppe war die Amtszeit Junckers damit beendet, da dieselbe Person das Amt des Vorsitzenden nicht länger als zwei Mandatsperioden lang besetzen darf. Am 12. September 2008 wurde seine Amtszeit jedoch in einer Eurogruppen-Sitzung unter Leitung der französischen Finanzministerin Christine Lagarde einstimmig um weitere zwei Jahre verlängert. Nach der luxemburgischen Parlamentswahl 2009 gab Juncker sein Amt als luxemburgischer Finanzminister ab, erklärte jedoch sein Interesse, Vorsitzender der Euro-Gruppe zu bleiben. 

Noch im Januar 2010 wurde er für weitere zweieinhalb Jahre als deren Vorsitzender bestätigt, nachdem die Euro-Gruppe kurz zuvor durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erstmals auch einen formalen europarechtlichen Status erhalten hatte. Im März 2012 kündigte Juncker an, den Vorsitz der Euro-Gruppe zum Sommer 2012 abzugeben. Als er dann im Juli 2012 für eine fünfte Mandatsperiode zum Vorsitzenden der Euro-Gruppe bestimmt wurde, gab er bekannt, den Vorsitz nur für ein halbes Jahr innehaben zu wollen und dass er diesen spätestens Anfang 2013 niederlegen werde. Diese Ankündigung erneuerte er im Dezember 2012. Am 21. Januar 2013 legte er sein Mandat nieder und wurde durch den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem ersetzt.

Kandidatur Präsident des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission

Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 erklärte Juncker sein Interesse am Posten des Präsidenten des Europäischen Rates. Neben Tony Blair war er der bekannteste Kandidat für dieses Amt, wobei zahlreiche Medien davon ausgingen, dass Juncker aufgrund seiner europaföderalistischen Positionen ohnehin keine Mehrheit im Europäischen Rat erringen konnte und mit seiner Kandidatur vor allem einen Erfolg Blairs verhindern wollte. Es wurde schließlich Herman Van Rompuy für das Amt gewählt.

Für die Europawahl 2014 kandidierte er für die EVP als Spitzenkandidat, ohne jedoch für das Europäische Parlament zu kandidieren. Vorgesehen war, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion Präsident der Europäischen Kommission werden sollte. Junckers Hauptkonkurrent im Wahlkampf war der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Martin Schulz. Nachdem die EVP mit Juncker stärkste Kraft geworden war, sprach sich der britische Premierminister David Cameron allerdings öffentlich gegen eine Kandidatur, Nominierung und Wahl Junckers aus.

Präsident der Europäischen Kommission

Jean-Claude Juncker auf dem CSU-Parteitag 2014 in Nürnberg
Nach wochenlanger Diskussion wurde Juncker gegen den Widerstand Camerons, der in dieser Frage nur durch Ungarns Viktor Orbán unterstützt wurde, vom Europäischen Rat als Kommissionspräsident nominiert. Am 15. Juli 2014 stimmte das Europäische Parlament mit 422:250 Stimmen (47 Enthaltungen, 10 Ungültige) für Juncker. Als Präsident der EU-Kommission plant Juncker eine tiefgreifende Umstrukturierung des Gremiums der EU-Kommissare, bei welchen die Vizepräsidenten sogenannte Cluster, also größere Aufgabenbereiche, leiten sollen.

Im Interview der Woche des Deutschlandfunks am 12. Februar 2017 äußerte sich Juncker dahingehend, dass er keine zweite Kandidatur für das Amt des Kommissionspräsidenten anstrebt.


Wirtschafts- und Sozialpolitik

Junckers Positionen sind entsprechend denen der CSV gemäßigt konservativ-marktwirtschaftlich und christdemokratisch, wobei ihm die Sozialpolitik sehr wichtig ist. So setzte Juncker sich 2006 für eine „soziale Relance der EVP“ ein. Juncker gilt als dem Europäischen Föderalismus nahestehend.

Als Vorsitzender der Euro-Gruppe unterstützte er den Lissabon-Vertrag. Zudem bemängelte er jedoch, dass die soziale Frage in der EU unbeachtet geblieben sei und sprach sich wiederholt für ein „soziales Europa“ aus. Juncker verurteilte den Trend hin zum Sozial- und Lohndumping (wobei er insbesondere die deutsche Regierung aufgrund ihrer Exportstrategie und der Lohnsenkungen kritisch betrachtete) und forderte deswegen unter anderem europäische Mindeststandards im 
In Luxemburg gibt es derzeit einen im europäischen Vergleich hohen Mindestlohn („soziales Mindestgehalt“), und es existieren weiterhin vergleichsweise viele staatliche Leistungen, z. B. in den Bereichen Umwelt, Gesundheit und soziale Absicherung. Steuer- und Staatsquote liegen unter dem EU-Durchschnitt, allerdings noch im Schnitt der OECD-Mitgliedstaaten und damit deutlich höher als in anderen kleinen Ländern mit starker Finanzbranche wie z. B. der Schweiz (Stand 2007/2008). Die Einkommensungleichheit blieb seit seinem Amtsantritt auf demselben Niveau, nämlich etwas unter dem EU-Durchschnitt (Stand 2005).

Zugleich setzte die luxemburgische Regierung auch unter Juncker ihre Strategie fort, mit relativ niedrigen Steuersätzen und speziellen Kapitalanlagen für internationale AnlegerFinanzdienstleister anzulocken („Nischenstrategie“ für ein kleines Land). So wandte sich Juncker 2009 gegen Vorschläge des damaligen deutschen Finanzministers Peer Steinbrück (Kabinett Merkel I), europaweit den Zugang zu Steueroasen zu erschweren.


Reaktionen auf Finanzkrise

Seine zunächst ablehnend-skeptische Haltung gegenüber einer europäischen Finanzregulierung änderte Juncker teilweise infolge der globalen Finanzkrise ab 2007. Er kritisierte im Zusammenhang mit der Eurokrise ab 2009 die Finanzspekulationen und befürwortete unter anderem eine Finanztransaktionssteuer. Zudem kündigte er an, nach US-Druck, das Bankgeheimnis in Luxemburg zu lockern.

Juncker war einer der Autoren des Stabilitäts- und Wachstumspakts und wandte sich gegen ein gesamteuropäisches Konjunkturprogramm zur Krisenabmilderung nach der Wirtschaftskrise ab 2007.Jedoch sprach sich Juncker als Wirtschaftsunterstützung seit 2008 für die Einführung gemeinschaftlicher Staatsanleihen der EU-Mitgliedstaaten (Eurobonds) aus, die einen Teil der Schulden bündeln sollen um finanziell schwächeren Staaten den Zugang zu günstigeren Kreditbedingungen zu erleichtern. Der Vorschlag stieß auf Kritik bei anderen Konservativen in Europa, Juncker kündigte 2014 an, in den nächsten Jahren keine Eurobonds anzustreben.

Die Ankündigung des damaligen griechischen Regierungschefs Giorgos Papandreou im November 2011, ein Referendum darüber abzuhalten, ob weitere staatliche Ausgabekürzungen durchgeführt werden sollen, bezeichnete Juncker als illoyal gegenüber den Griechenland unterstützenden Euroländern. Weiterhin sprach sich Juncker dafür aus die Eurokrise nicht öffentlich zu diskutieren.

Reaktionen auf Flüchtlingskrise

Wie im September 2015 deutlich wurde, tritt Juncker zur Lösung der Flüchtlingskrise für die verpflichtende EU-weite Verteilung von Flüchtlingen ein – auch auf EU-Länder, die ausdrücklich keine Flüchtlinge aufnehmen möchten. Außerdem spricht er sich diesbezüglich für eine engere Kooperation zwischen der EU und der Türkei aus: “We cannot solely look inwards. We need to make sure that we look at the issues that concern us in the periphery of Europe. Turkey and the European Union need to walk together [down] this path.” („Wir dürfen nicht nur nach innen schauen. Wir müssen dafür sorgen das wir auch auf die Probleme an den Randbereichen Europas schauen. Die Türkei und die Europäische Union müssen diesen Weg gemeinsam bestreiten.“)

Verhandlungen zu CETA, TTIP usw.

Juncker äußerte Ende Juni 2016 die Ansicht, das geplante europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA sei ausschließlich ein überstaatlicher, europäischer Vertrag und daher sei die Zustimmung nationaler Parlamente in Europa nicht notwendig. Diese Äußerung wurde von führenden Politikern und in den Medien heftig kritisiert. Angesichts der Kritik schwächte er seine Aussage kurze Zeit später ab und erklärte: „Mir persönlich ist das aber relativ schnurzegal.“
Kritik

Auszeichnungen

2003 wurde Juncker „als Freund und Förderer der Stadt“ die Ehrenbürgerschaft der Stadt Trier verliehen. In den Jahren 2005 und 2006 übernahm Juncker die Schirmherrschaft von Prominence for Charity zugunsten von UNICEF.

Am 25. Mai 2006 erhielt Juncker den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen. Die Laudatio hielt Altbundeskanzler Helmut Kohl. Wie es im Text der Urkunde hieß, die Aachens Oberbürgermeister Jürgen Linden zusammen mit der eigentlichen Auszeichnung in Form einer Medaille mit Inschrift überreichte, erhielt Juncker den Preis „in Würdigung seines vorbildlichen Wirkens für ein soziales und geeintes Europa“.

Am 7. Dezember 2009 würdigte die Fasel-Stiftung (Duisburg) Junckers „herausragende Verdienste als Anwalt für eine sozial gerechte und marktwirtschaftliche europäische Ordnung“ (Stiftungsurkunde). Juncker wurde in Duisburg der „Preis der Fasel-Stiftung – Soziale Marktwirtschaft 2009“ verliehen. Die Laudatio hielt der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.


Zitate

Anlässlich eines Gesprächs mit Bürgern im Bukarester Nationalen Kunstmuseum in Rumänien sagte Junckers am 11. Mai 2017: „Ich habe in meinem Leben zwei große Zerstörer kennengelernt: (Michail) Gorbatschow, der die Sowjetunion zerstört hat, und David Cameron“. Auf die Frage ob andere EU-Staaten nach dem Vorbild Großbritanniens aus der EU austreten würden, meinte Junckers: „Nein. Denn sie werden bei der Autopsie (der "Leiche Großbritannien") sehen, dass es sich nicht lohnt.“


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