Jean-Claude Juncker (* 9. Dezember 1954 in Redingen) ist ein
luxemburgischer Politiker der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV/PCS) und
seit dem 1. November 2014 Präsident der Europäischen Kommission. Von 1989 bis
Juli 2009 war er Finanzminister und von 1995 bis Dezember 2013 Premierminister
Luxemburgs sowie von 2005 bis 2013 Vorsitzender der Euro-Gruppe.
Familie und Ausbildung
Jean-Claude Juncker wuchs als Sohn eines Stahlarbeiters im
Süden Luxemburgs auf. Er wurde sehr von diesem industrialisierten Landstrich
geprägt, in dem viele Arbeiter und Immigranten (damals hauptsächlich Italiener)
lebten. Seine Familie war zu jener Zeit bereits politisch in der
Christlich-Sozialen Volkspartei (CSV) beheimatet, sein Onkel Ed Juncker war
Bürgermeister der Stadt Ettelbrück. Sein Vater war aktiv als Gewerkschafter im
Luxemburger Christlichen Gewerkschaftsbund (LCGB). Sein Vater war während des
Zweiten Weltkrieges zum Dienst in der deutschen Wehrmacht gezwungen worden,
einige Familienmitglieder starben in deutschen Konzentrationslagern.
Die Mittelschule absolviert er im Internat des belgischen
Klosters Clairefontaine, das von Luxemburger Herz-Jesu-Priestern geführt wurde.
1974 erwarb Jean-Claude Juncker das Diplôme de fin d’études secondaires
(Abitur, Matura) am Lycée Michel-Rodange in Luxemburg. Im selben Jahr trat er
der CSV bei. Er begann 1975 ein Studium der Rechtswissenschaften an der
Universität Straßburg, das er 1979 abschloss. Im Februar 1980 wurde er von der
Anwaltskammer vereidigt und als Rechtsanwalt zugelassen. Er übte diesen Beruf
jedoch nie aus, sondern verstand sich von Anfang an als Berufspolitiker.
Juncker ist seit 1979 verheiratet.
Von Mai 2006 bis zur Einstellung des Blattes Ende 2010 war
Juncker Mitherausgeber der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“.
Neben seiner Muttersprache Luxemburgisch spricht Juncker
fließend Französisch, Deutsch und Englisch.
Politische Karriere
Im Jahre 1982 wurde Juncker zum Staatssekretär für Arbeit
und soziale Sicherheit ernannt. 1984 errang Jean-Claude Juncker bei den Wahlen
zur luxemburgischen Abgeordnetenkammer (Chambre des députés) erstmals ein
Mandat. Er trat weder dieses noch die bei den folgenden Wahlen errungenen
jemals für längere Zeit an, da er auch in den weiteren Legislaturperioden der
Regierung angehörte.
Mit der Regierungsbildung nach den Kammerwahlen von 1989
wurde er Minister für die Ressorts Arbeit und Finanzen sowie Gouverneur
Luxemburgs bei der Weltbank. Das Amt bekleidete Juncker bis 1995 und gestaltete
in dieser Zeit den Vertrag von Maastricht entscheidend mit.
Premierminister Luxemburgs
Am 20. Januar 1995 wurde er luxemburgischer Premierminister
als Nachfolger von Jacques Santer, nachdem dieser das Amt des Präsidenten der
Europäischen Kommission übernommen hatte und aus der Regierung ausschied.
Zugleich übernahm Juncker auch das luxemburgische Finanzministerium sowie die
Vertretung Luxemburgs als Gouverneur beim Internationalen Währungsfonds. Seine
Tätigkeit hatte dabei von Anfang an einen starken Bezug zur internationalen
Politik, wo er von seiner Mehrsprachigkeit profitiert. Unter anderem tat er
sich mehrfach als Vermittler innerhalb der EU hervor. So hatte er 1996 starken
Anteil am „Kompromiss von Dublin“, der eine Einigung zwischen Deutschland und
Frankreich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt ermöglichte.In der zweiten
Jahreshälfte 1997 sowie in der ersten Jahreshälfte 2005 hatte Luxemburg unter
Juncker die EU-Ratspräsidentschaft inne.
Juncker gilt als beliebt bei der Luxemburger Bevölkerung und setzt seine Popularität immer wieder auch politisch ein: So versprach er
vor der Luxemburger Wahl 2004, bei einer Wiederwahl auf jeden Fall
Premierminister Luxemburgs zu bleiben und kein europäisches Amt anzunehmen;
seine Partei fuhr daraufhin einen deutlichen Sieg ein.
2005 drohte Juncker,
im Falle eines negativen Ergebnisses beim Referendum in Luxemburg zur neuen
EU-Verfassung sein Amt niederzulegen. Die Luxemburger nahmen in der folgenden
Abstimmung die Verfassung mit 57 % der abgegebenen Stimmen an.
Am 16. November 2008 hielt Jean-Claude Juncker anlässlich
des Volkstrauertages eine Rede vor dem Deutschen Bundestag.
Geheimdienstaffäre und Rücktritt als Premierminister
In der ersten Jahreshälfte 2013 beschäftigte sich ein
Untersuchungsausschuss des luxemburgischen Parlaments mit über Jahre
andauernden zweifelhaften Praktiken des luxemburgischen Geheimdienstes SREL.
Auslöser waren Erkenntnisse im Rahmen der juristischen Aufarbeitung einer Reihe
von unaufgeklärten Bombenanschlägen Mitte der 1980er Jahre, üblicherweise als
Bombenlegeraffäre bezeichnet. In seinem Abschlussbericht stellte der Ausschuss
Anfang Juli mehrheitlich fest, dass Juncker die politische Verantwortung für
die unkontrollierten Aktivitäten des SREL trage. Juncker selbst war, wie sich
herausgestellt hatte, 2007 Opfer dieser Praktiken gewesen, da der damalige
Geheimdienstchef Marco Mille heimlich ein Gespräch zwischen ihm und Juncker aufzeichnete.
Am 10. Juli 2013 kündigte Juncker im Zuge der Affäre Neuwahlen an (siehe
Kammerwahl 2013. Bei dieser Wahl wurde Junckers CSV mit ihm als Spitzenkandidat
zwar erneut stärkste Partei, sein bisheriger Koalitionspartner, die
Sozialdemokraten, einigten sich jedoch mit den Liberalen und den Grünen auf
eine neue Koalitionsregierung. Juncker, der zuletzt der dienstälteste
Regierungschef in der Europäischen Union gewesen war, schied mit der
Vereidigung von Xavier Bettel als Premierminister am 4. Dezember 2013 aus
seinen Regierungsämtern aus. Er übernahm in der Folge den Fraktionsvorsitz der
CSV in der Abgeordnetenkammer und wurde damit Oppositionsführer.
Vorsitz der Eurozone
Am 10. September 2004 wurde Juncker für die Dauer von zwei
Jahren zum ersten ständigen Vorsitzenden der Euro-Gruppe ernannt, eines
informellen Gremiums der Finanzminister der Eurozone. Sein Mandat begann am 1.
Januar 2005, es wurde am 6. September 2006 bis zum 31. Dezember 2008
verlängert. Laut den damaligen Statuten der Euro-Gruppe war die Amtszeit
Junckers damit beendet, da dieselbe Person das Amt des Vorsitzenden nicht
länger als zwei Mandatsperioden lang besetzen darf. Am 12. September 2008 wurde
seine Amtszeit jedoch in einer Eurogruppen-Sitzung unter Leitung der
französischen Finanzministerin Christine Lagarde einstimmig um weitere zwei
Jahre verlängert. Nach der luxemburgischen Parlamentswahl 2009 gab Juncker sein
Amt als luxemburgischer Finanzminister ab, erklärte jedoch sein Interesse,
Vorsitzender der Euro-Gruppe zu bleiben.
Noch im Januar 2010 wurde er für
weitere zweieinhalb Jahre als deren Vorsitzender bestätigt, nachdem die
Euro-Gruppe kurz zuvor durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon
erstmals auch einen formalen europarechtlichen Status erhalten hatte. Im März
2012 kündigte Juncker an, den Vorsitz der Euro-Gruppe zum Sommer 2012
abzugeben. Als er dann im Juli 2012 für eine fünfte Mandatsperiode zum
Vorsitzenden der Euro-Gruppe bestimmt wurde, gab er bekannt, den Vorsitz nur
für ein halbes Jahr innehaben zu wollen und dass er diesen spätestens Anfang
2013 niederlegen werde. Diese Ankündigung erneuerte er im Dezember 2012. Am 21.
Januar 2013 legte er sein Mandat nieder und wurde durch den niederländischen
Finanzminister Jeroen Dijsselbloem ersetzt.
Kandidatur Präsident des Europäischen Rates und der Europäischen Kommission
Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009
erklärte Juncker sein Interesse am Posten des Präsidenten des Europäischen
Rates. Neben Tony Blair war er der bekannteste Kandidat für dieses Amt, wobei
zahlreiche Medien davon ausgingen, dass Juncker aufgrund seiner
europaföderalistischen Positionen ohnehin keine Mehrheit im Europäischen Rat
erringen konnte und mit seiner Kandidatur vor allem einen Erfolg Blairs
verhindern wollte. Es wurde schließlich Herman Van Rompuy für das Amt gewählt.
Für die Europawahl 2014 kandidierte er für die EVP als
Spitzenkandidat, ohne jedoch für das Europäische Parlament zu kandidieren.
Vorgesehen war, dass der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion Präsident der
Europäischen Kommission werden sollte. Junckers Hauptkonkurrent im Wahlkampf
war der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten Martin Schulz. Nachdem die EVP mit
Juncker stärkste Kraft geworden war, sprach sich der britische Premierminister
David Cameron allerdings öffentlich gegen eine Kandidatur, Nominierung und Wahl
Junckers aus.
Präsident der Europäischen Kommission
Jean-Claude Juncker auf dem CSU-Parteitag 2014 in Nürnberg
Nach wochenlanger Diskussion wurde Juncker gegen den
Widerstand Camerons, der in dieser Frage nur durch Ungarns Viktor Orbán
unterstützt wurde, vom Europäischen Rat als Kommissionspräsident nominiert. Am
15. Juli 2014 stimmte das Europäische Parlament mit 422:250 Stimmen (47
Enthaltungen, 10 Ungültige) für Juncker. Als Präsident der EU-Kommission plant
Juncker eine tiefgreifende Umstrukturierung des Gremiums der EU-Kommissare, bei
welchen die Vizepräsidenten sogenannte Cluster, also größere Aufgabenbereiche,
leiten sollen.
Im Interview der Woche des Deutschlandfunks am 12. Februar
2017 äußerte sich Juncker dahingehend, dass er keine zweite Kandidatur für das
Amt des Kommissionspräsidenten anstrebt.
Wirtschafts- und Sozialpolitik
Junckers Positionen sind entsprechend denen der CSV gemäßigt
konservativ-marktwirtschaftlich und christdemokratisch, wobei ihm die
Sozialpolitik sehr wichtig ist. So setzte Juncker sich 2006 für eine „soziale
Relance der EVP“ ein. Juncker gilt als dem Europäischen Föderalismus
nahestehend.
Als Vorsitzender der Euro-Gruppe unterstützte er den
Lissabon-Vertrag. Zudem bemängelte er jedoch, dass die soziale Frage in der EU
unbeachtet geblieben sei und sprach sich wiederholt für ein „soziales Europa“
aus. Juncker verurteilte den Trend hin zum Sozial- und Lohndumping (wobei er
insbesondere die deutsche Regierung aufgrund ihrer Exportstrategie und der Lohnsenkungen
kritisch betrachtete) und forderte deswegen unter anderem europäische
Mindeststandards im
In Luxemburg gibt es derzeit einen im europäischen Vergleich
hohen Mindestlohn („soziales Mindestgehalt“), und es existieren weiterhin
vergleichsweise viele staatliche Leistungen, z. B. in den Bereichen
Umwelt, Gesundheit und soziale Absicherung. Steuer- und Staatsquote liegen
unter dem EU-Durchschnitt, allerdings noch im Schnitt der OECD-Mitgliedstaaten
und damit deutlich höher als in anderen kleinen Ländern mit starker
Finanzbranche wie z. B. der Schweiz (Stand 2007/2008). Die
Einkommensungleichheit blieb seit seinem Amtsantritt auf demselben Niveau,
nämlich etwas unter dem EU-Durchschnitt (Stand 2005).
Zugleich setzte die luxemburgische Regierung auch unter
Juncker ihre Strategie fort, mit relativ niedrigen Steuersätzen und speziellen
Kapitalanlagen für internationale AnlegerFinanzdienstleister anzulocken
(„Nischenstrategie“ für ein kleines Land). So wandte sich Juncker 2009 gegen
Vorschläge des damaligen deutschen Finanzministers Peer Steinbrück (Kabinett
Merkel I), europaweit den Zugang zu Steueroasen zu erschweren.
Reaktionen auf Finanzkrise
Seine zunächst ablehnend-skeptische Haltung gegenüber einer
europäischen Finanzregulierung änderte Juncker teilweise infolge der globalen
Finanzkrise ab 2007. Er kritisierte im Zusammenhang mit der Eurokrise ab 2009
die Finanzspekulationen und befürwortete unter anderem eine
Finanztransaktionssteuer. Zudem kündigte er an, nach US-Druck, das Bankgeheimnis
in Luxemburg zu lockern.
Juncker war einer der Autoren des Stabilitäts- und
Wachstumspakts und wandte sich gegen ein gesamteuropäisches Konjunkturprogramm
zur Krisenabmilderung nach der Wirtschaftskrise ab 2007.Jedoch sprach sich
Juncker als Wirtschaftsunterstützung seit 2008 für die Einführung gemeinschaftlicher
Staatsanleihen der EU-Mitgliedstaaten (Eurobonds) aus, die einen Teil der
Schulden bündeln sollen um finanziell schwächeren Staaten den Zugang zu
günstigeren Kreditbedingungen zu erleichtern. Der Vorschlag stieß auf Kritik
bei anderen Konservativen in Europa, Juncker kündigte 2014 an, in den nächsten
Jahren keine Eurobonds anzustreben.
Die Ankündigung des damaligen griechischen Regierungschefs
Giorgos Papandreou im November 2011, ein Referendum darüber abzuhalten, ob
weitere staatliche Ausgabekürzungen durchgeführt werden sollen, bezeichnete
Juncker als illoyal gegenüber den Griechenland unterstützenden Euroländern.
Weiterhin sprach sich Juncker dafür aus die Eurokrise nicht öffentlich zu
diskutieren.
Reaktionen auf Flüchtlingskrise
Wie im September 2015 deutlich wurde, tritt Juncker zur
Lösung der Flüchtlingskrise für die verpflichtende EU-weite Verteilung von
Flüchtlingen ein – auch auf EU-Länder, die ausdrücklich keine Flüchtlinge
aufnehmen möchten. Außerdem spricht er sich diesbezüglich für eine engere
Kooperation zwischen der EU und der Türkei aus: “We cannot solely look inwards.
We need to make sure that we
look at the issues that concern us in the periphery of Europe. Turkey and the
European Union need to walk together [down] this path.” („Wir dürfen
nicht nur nach innen schauen. Wir müssen dafür sorgen das wir auch auf die
Probleme an den Randbereichen Europas schauen. Die Türkei und die Europäische
Union müssen diesen Weg gemeinsam bestreiten.“)
Verhandlungen zu CETA, TTIP usw.
Juncker äußerte Ende Juni 2016 die Ansicht, das geplante
europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA sei ausschließlich ein
überstaatlicher, europäischer Vertrag und daher sei die Zustimmung nationaler
Parlamente in Europa nicht notwendig. Diese Äußerung wurde von führenden
Politikern und in den Medien heftig kritisiert. Angesichts der Kritik schwächte
er seine Aussage kurze Zeit später ab und erklärte: „Mir persönlich ist das
aber relativ schnurzegal.“
Kritik
Auszeichnungen
2003 wurde Juncker „als Freund und Förderer der Stadt“ die
Ehrenbürgerschaft der Stadt Trier verliehen. In den Jahren 2005 und 2006
übernahm Juncker die Schirmherrschaft von Prominence for Charity zugunsten von
UNICEF.
Am 25. Mai 2006 erhielt Juncker den Internationalen
Karlspreis der Stadt Aachen. Die Laudatio hielt Altbundeskanzler Helmut Kohl.
Wie es im Text der Urkunde hieß, die Aachens Oberbürgermeister Jürgen Linden
zusammen mit der eigentlichen Auszeichnung in Form einer Medaille mit Inschrift
überreichte, erhielt Juncker den Preis „in Würdigung seines vorbildlichen
Wirkens für ein soziales und geeintes Europa“.
Am 7. Dezember 2009 würdigte die Fasel-Stiftung (Duisburg)
Junckers „herausragende Verdienste als Anwalt für eine sozial gerechte und
marktwirtschaftliche europäische Ordnung“ (Stiftungsurkunde). Juncker wurde in
Duisburg der „Preis der Fasel-Stiftung – Soziale Marktwirtschaft 2009“
verliehen. Die Laudatio hielt der damalige nordrhein-westfälische
Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.
Zitate
Anlässlich eines Gesprächs mit Bürgern im Bukarester
Nationalen Kunstmuseum in Rumänien sagte Junckers am 11. Mai 2017: „Ich habe in
meinem Leben zwei große Zerstörer kennengelernt: (Michail) Gorbatschow, der die
Sowjetunion zerstört hat, und David Cameron“. Auf die Frage ob andere
EU-Staaten nach dem Vorbild Großbritanniens aus der EU austreten würden, meinte
Junckers: „Nein. Denn sie werden bei der Autopsie (der "Leiche
Großbritannien") sehen, dass es sich nicht lohnt.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen