Der Verfassungsvertrag stieß bei verschiedenen politischen Richtungen und insbesondere in der Bevölkerung einiger Mitgliedstaaten zunehmend auf Kritik. Die Kritik war sehr vielschichtig und ging vom Inhalt über die Legitimation bis hin zum Titel der Verfassung. Unter den großen europäischen Parteien sprach sich die Mehrheit für den Verfassungsvertrag aus, darunter insbesondere Europäische Volkspartei, Europäische Liberale, Europäische Demokratische Partei und der größere Teil der Sozialdemokratischen Partei Europas und der Europäischen Grünen. Lediglich einige Mitglieder des linken Flügels der SPE, insbesondere in der französischen Parti Socialiste, lehnten den Entwurf ab. Deutlich gegen den Verfassungsvertrag positionierten sich auf der Linken die Europäische Linke, auf der Rechten die Allianz für ein Europa der Nationen und die EUDemokraten. Auch einige große Nichtregierungsorganisationen wie Attac positionierten sich gegen den Entwurf.
Länge und Komplexität
Kritiker der europäischen Verfassung strichen die Länge und Komplexität der Verfassung im Vergleich zu existierenden und bewährten nationalen Verfassungen heraus. So seien die europäische Verfassung mit 160.000 Wörtern (inklusive Deklarationen und Protokolle) im Vergleich mit der 4.600 Wörter langen US-amerikanischen Verfassung zu lang und kaum aus sich selbst heraus zu verstehen. In ihrem Bestreben, die Ziele und Betätigungsfelder der Europäischen Union möglichst eindeutig festzuschreiben, gehe der Verfassungsvertrag über das hinaus, was üblicherweise durch eine Verfassung geregelt werde.Befürworter der Verfassung wiesen dagegen darauf hin, dass der neue Text weniger lang sei als die bisherigen Verträge, die er ersetzen sollte.
Kritik am Ausarbeitungs- und Ratifizierungsprozess
Am Konvent wurde kritisiert, dass seine Mitglieder nicht direkt von der Bevölkerung gewählt oder bestätigt werden konnten. Auch sei er nur scheinbar transparent: Trotz öffentlicher Plenumssitzungen seien wichtige Entscheidungen nicht öffentlich getroffen und die vorausgegangenen Präsidiumsberatungen nicht protokolliert worden. Der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker (Präsident des Rats der Europäischen Union während des ersten Halbjahres 2005) sagte dazu: „Der Konvent ist angekündigt worden als die große Demokratie-Show. Ich habe noch keine dunklere Dunkelkammer gesehen als den Konvent.“Kritisiert wurde auch, dass der ungleiche Zeitpunkt der Referenden und der parlamentarischen Ratifizierungen es den Regierungen ermögliche, die Ratifizierungen zum jeweils vermuteten günstigsten Zeitpunkt durchzuführen. Dies führe zu einer Manipulation der Referendumsergebnisse zugunsten der Verfassungsbefürworter. Auch solle durch vorangegangene Entscheidungen Druck auf einzelne Parlamente ausgeübt werden. Als Beispiele wurden das frühe Referendum in Spanien nach entsprechend günstigen Umfragen und der Versuch genannt, dem französischen Referendum durch das deutsche Beispiel rechtzeitig den „nötigen Schub“ zu geben.
In den Ländern, wo der Verfassungsvertrag bereits früh und ohne Referendum ratifiziert wurde – darunter auch Deutschland – warfen Kritiker der Regierung vor, sie wolle eine intensivere öffentliche Diskussion verhindern. In vielen, jedoch nicht allen Mitgliedstaaten wurde auch die ungleiche finanzielle Unterstützung und Medienpräsenz von Verfassungsbefürwortern und Verfassungsgegnern bemängelt: So bekamen Befürworter in Frankreich vor dem Referendum nachweislich mehr Sendezeit eingeräumt.
Kritik am Titel der Verfassung
Dagegen wurde eingewandt, dass diese Kritik nur sprachlicher Natur sei, also auf der Denotation und Konnotation der Begriffe „Vertrag“ und „Verfassung“ beruhe. Auch der Vertrag von Maastricht und die darauf folgenden Verträge seien im rechtlichen Sinn die – nicht so betitelte – Verfassung der EU, da sie deren politisches System definierten und dem daraus abgeleiteten Sekundärrecht übergeordnet seien. Die Rechts- und Politikwissenschaft sowie auch der EuGH verwendeten daher bereits seit längerem den Begriff des „europäischen Verfassungsrechts“ oder der „europäischen Verfassungsverträge“.
Vorwurf mangelnder sozialer Ausrichtung
Insbesondere aus dem politisch linken Spektrum wurde die mangelnde soziale Ausrichtung des Verfassungsvertrags kritisiert. So wurde der in der Verfassung vereinbarte Grundsatz der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. III-177 VVE) angegriffen, mit dem sich die Verfassung in den Augen ihrer Kritiker auf eine „neoliberale“ Wirtschaftspolitik festlegte. Diese Wirtschaftspolitik und das Wirtschaftswachstum erhielten so den Rang von Verfassungszielen, während die Sozialpolitik kaum berücksichtigt werde. Diese Kritik wurde insbesondere in Frankreich geäußert und war einer der Gründe dafür, dass außer der Kommunistischen Partei auch der linke Flügel der Sozialisten den Verfassungsvertrag ablehnte.Gegen den Vorwurf wurde eingewandt, dass die Europäische Gemeinschaft seit jeher auf das Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten durch Wirtschaftspolitik aufgebaut sei und es sich bei Art. III-177 VVE um die wortwörtliche Übernahme aus dem alten Vertragswerk handele. Außerdem lege Art. I-3 VVE ausdrücklich die „soziale Marktwirtschaft“ sowie „soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz“ als Verfassungsziele fest.
Auch die Charta der Grundrechte erschien linksgerichteten Kritikern als nicht weitgehend genug, da die darin enthaltenen sozialen Rechte lediglich als allgemeine Grundsätze zu betrachten seien. Da sie nicht einklagbar sein sollten, wäre ein wesentlicher Teil der Charta letztlich folgenlos geblieben. Kritisiert wurde auch das Fehlen einer Klausel zur Sozialpflichtigkeit von Eigentum, wie sie etwa im deutschen Grundgesetz enthalten ist (Art. 14 Abs. 2 GG). Die Formulierung in Art. II-77 VVE, der das Eigentumsrecht regelt, sei dagegen weitaus allgemeiner gehalten.
Inhaltlich genau entgegengesetzt war die Kritik, die von konservativer Seite an den sozialen Rechten in der Charta geäußert wurde: So wurde unter anderem das Recht zu arbeiten angegriffen, das Art. II-75 VVE vorsah und in dem etwa Teile der deutschen CSU ein „Relikt der DDR-Verfassung“ sahen.
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