Samstag, 11. März 2017

Qualifizierte Mehrheit in der Verfassung


Eine gravierende Änderung des Verfassungsvertrages betraf die Abstimmungsmodi im Rat. Dort wurden für die sogenannte „qualifizierte Mehrheit“ die Stimmen der einzelnen Länder bisher gewichtet, wobei größeren Ländern allgemein mehr, kleineren weniger Stimmen zukamen; die genaue Stimmgewichtung war jedoch im Vertrag von Nizza weitgehend willkürlich beschlossen worden. Diese Stimmgewichtung sollte im Verfassungsvertrag abgeschafft werden. 


Stattdessen sah er eine neue Definition der qualifizierten Mehrheit vor: Nach dem Vertrag von Nizza musste es hierfür eine Mehrheit von (a) mindestens der Hälfte der Staaten geben, die (b) gleichzeitig 72 % der gewichteten Stimmen und (c) 62 % der EU-Bevölkerung repräsentierten. Nach dem Verfassungsentwurf wurde sie durch die sog. doppelte Mehrheit ersetzt, nach der (a) 55 % der Mitgliedstaaten zustimmen müssen, die (b) mindestens 65 % der Bevölkerung der Union repräsentieren.

Wurde die Zahl der Hürden im Vertrag von Nizza also auf drei erhöht, so wären es nach dem Verfassungsentwurf nur noch zwei Hürden: die Anzahl der Staaten und die Bevölkerung. Diese zweifache Mehrheit sollte einerseits den „Doppelcharakter“ (Joschka Fischer) der EU als Union aus Völkern und Staaten auf verständliche Weise widerspiegeln. Andererseits sollten dadurch Entscheidungen generell erleichtert werden, indem die Sperrminorität heraufgesetzt wurde. Drittens hätte die Regelung eine Machtverschiebung bewirkt, durch die die großen und sehr kleinen Staaten zulasten der mittelgroßen an Einfluss gewonnen hätten. Verlierer dieser Neuregelung wären also die Staaten in der Größenordnung von Österreich bis Spanien gewesen; besonders stark waren Spanien und Polen betroffen, die durch die Stimmgewichtung im Vertrag von Nizza einen überproportional großen Einfluss hatten.

Durch die Neuregelung im Verfassungsentwurf hätten diese beiden Länder viel schwieriger eine Blockade organisieren können: Während bisher dafür nur 28 % der gewichteten Stimmen nötig waren (Spanien und Polen besitzen addiert fast 17 %), sollten es nach dem Verfassungsvertrag entweder 13 Länder oder Länder mit einer addierten Bevölkerung von 225 Mio. sein (in Spanien und Polen leben zusammen nur 78 Mio.).

Die Neudefinition der Mehrheit im Rat wurde daher während der Regierungskonferenz zu einem der zentralen Streitpunkte. Erst der Regierungswechsel in Spanien 2004, durch den der EU-freundliche José Luis Rodríguez Zapatero den vorherigen Regierungschef José María Aznar ablöste, ermöglichte letztlich eine Einigung.

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