Montag, 25. Juli 2016

50 Jahre Freiheit - Ralf Dahrendorf




Ralf Gustav Dahrendorf, Baron Dahrendorf, KBE, FBA (* 1. Mai 1929 in Hamburg; † 17. Juni 2009 in Köln), war ein deutsch-britischer Soziologe, Politiker und Publizist. Er war Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Mitglied des Deutschen Bundestages, parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Mitglied der Europäischen Kommission, Direktor der London School of Economics and Political Science, Mitbegründer der Universität Konstanz und Mitglied des britischen House of Lords.

Dahrendorfs früheste Publikationen beschäftigten sich mit Fragen der Industrie- und Betriebssoziologie.

Viele Schüler kennen Dahrendorfs Arbeiten durch das „Dahrendorfhäuschen“, eine Darstellung der Schichtung der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Theoretisch Interessierten ist er als Vertreter der Konfliktsoziologie, durch seine Beiträge zur Rollentheorie und teilweise auch durch seine Beteiligung am sogenannten Positivismusstreit in der deutschen Soziologie bekannt, in dem die Philosophen Karl Popper und Theodor W. Adorno in Tübingen aufeinandertrafen.

Bereits mit seiner Habilitationsschrift Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft (1957), die im Schulenstreit zwischen marxistischer Soziologie und Strukturfunktionalismus einen „dritten Weg“ zu öffnen versprach, wurde er in der deutschen Soziologie bekannt, in weit stärkerem Maße dann im angelsächsischen Sprachbereich (viele Auflagen seiner Werke erschienen in englischer Übersetzung).
Mit einer Reihe von Aufsätzen – zusammengefasst in dem Band Gesellschaft und Freiheit (1961) – begründete er eine soziologische Konflikt- und Herrschaftstheorie, die sich als Gegenentwurf zur strukturfunktionalen Gesellschaftstheorie von Talcott Parsons und seinen Schülern verstand. Darin begriff er Konflikte nicht als „dysfunktionale“, die gesellschaftliche Ordnung störende Phänomene, sondern als „eine hervorragende schöpferische Kraft“ des sozialen Wandels.

Zum geflügelten Wort wurde der Titel seines Buches Bildung ist Bürgerrecht (1965) über deutsche Bildungsdefizite, die er als Bedrohung für die bundesdeutsche Demokratie wertete. Er lieferte damit wesentliche Argumente für eine Bildungsexpansion.
Mit dem Konzept des homo sociologicus führte er auch die Rollentheorie in die deutschsprachige Soziologie ein. Der Übergang vom innovativen, klaren und beredten akademischen Lehrer zum Akteur der Politik während der Zeit der Studentenrevolte, seine unter freiem Himmel geführte Diskussion mit Rudi Dutschke, überraschten die Fachwelt.
Er galt als Verfechter des politischen Liberalismus, den er durch die „Zerstörung der Ligaturen“ (Bindungen) in der Gesellschaft gefährdet sah. Hinsichtlich der Wirtschaftsordnung vertrat er Positionen des Ordoliberalismus, aber auch das Konzept eines Grundeinkommens („Bürgergeld“).

Als zeitkritischer Intellektueller nahm er zu vielen aktuellen Fragen Stellung, seine besondere Aufmerksamkeit galt den Umwälzungen in Osteuropa (Betrachtungen über die Revolution in Europa, 1990) sowie den Entwicklungen nach 1989 und in Europa.
Als „Summe meiner Sozialwissenschaft“ bezeichnete er seinen umfangreichen Essay Der moderne soziale Konflikt (1992), der seine Hauptthemen – soziale Klassen und Konflikt, Anrechte und Lebenschancen, Bürgergesellschaft und Weltbürgertum – in einen konsistenten Zusammenhang stellt.

In seinen Werken Engagierte Beobachter (2005) und Versuchungen der Unfreiheit (2006) setzte er sich mit dem Phänomen der Intellektuellen in Zeiten der Prüfung auseinander, die dem Totalitarismus (zeitweise) verfallen waren, und mit jenen, die sich immer von Ideologien abgrenzten. Er stellte die These auf, dass das Votum letzterer auf vier Säulen beruhe: den Fähigkeiten, unabhängiges Denken strikt zu verfolgen und die Widersprüche und Konflikte der Gesellschaft auszuhalten, auf einer akribischen engagierten Beobachtungsweise sowie auf der Anerkennung der Vernunft als Grundlage jeder Theorie und Praxis.

Als große Beispiele eines solchen auf Freiheit beruhenden eigenständigen zielbewussten Denkens nannte er Karl Popper, Raymond Aron und Isaiah Berlin, die ihn prägten. Nach Dahrendorfs Ansicht hat bereits der Humanist Erasmus von Rotterdam diese Art des Denkens im 15. Jahrhundert begründet und kann den modernen Intellektuellen somit als Vorbild dienen. Zu den von ihm so genannten Erasmus-Intellektuellen zählte er außerdem in unterschiedlichen Abstufungen u. a. Arthur Koestler und Manès Sperber, beide ehemalige Kommunisten, die als Kritiker des Stalinismus bekannt wurden, sowie Norberto Bobbio (italienischer Rechtsgelehrter und Antifaschist), Jan Patočka (tschechischer Philosoph), Hannah Arendt und Theodor W. Adorno.

Die standhaften freiheitlichen Intellektuellen im Denken und Handeln stellten nach Dahrendorf im 20. Jahrhundert nur eine Minderheit dar, viele seien den zahlreichen Versuchungen der Unfreiheit erlegen. Dahrendorf betrachtete Großbritannien als liberale Gesellschaft (Erasmus-Land), die als offene Gesellschaft auf einem common sense beruhe und mit der sich der Autor als Liberaler mehr oder weniger identifizierte.

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